August Wilhelm Schlegel        August Wilhelm Schlegel

1767 -  1845

Der Völkersitten, mancher fremden Stätte

Und ihrer Sprache frühe schon erfahren,

Was alte Zeit, was neue Zeit gebaren

Vereinigend in Eines Wissens Kette,

 

Im Stehn, im Gehn, im Wachen und im Bette,

Auf Reisen selbst, wie unter’m Schutz der Laren

Stets dichtend, aller, die es sind und waren,

Besieger, Muster, Meister im Sonette.

 

Der Erste, der’s gewagt auf deutscher Erde

Mit Shakespear’s Geist zu ringen und mit Dante,

Zugleich der Schöpfer und das Bild der Regel:

 

Wie ihn der Mund der Zukunft nennen werde,

Ist unbekannt, doch dies Geschlecht erkannte

Ihn bei dem Namen August Wilhelm Schlegel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die Mutter Gottes in der Herrlichkeit

1767 -  1845

Dir neigen Engel sich in tiefer Feier,

Und Heil’ge beten, wo dein Fußtritt wallt:

Glorreiche Himmelskönigin! Dir hallt,

Die Gott besaitet hat, der Sphären Leier.

 

Dein Geist blickt sichtbar göttlich durch den Schleier

Der unverwelklich blühenden Gestalt;

Du trägst ein Kind voll hehrer Allgewalt,

Des Todes Sieger und der Welt Befreier.

 

O Jungfrau! Tochter des, den du gehegt!

Dein Schoß ward zu dem Heiligthum erwählet,

Wo selbst ihr Bild die Gottheit ausgeprägt.

 

Dein Leben hat das Leben neu beseelet.

Die ew’ge Liebe, die das Weltall trägt,

Ist unauflöslich uns durch dich vermählet.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die Opferung Isaaks

1767 -  1845

Der schöne Jüngling kniet auf dem Altare,

Nackt, blaß, gebeugt, die Arme auf dem Rücken,

Ein banges Weh in den erhobnen Blicken,

Als ob schon Tod mit Todesfurcht sich paare.

 

Der Vater steht, kraftvoll in greisem Haare,

Geschürzt mit Glauben, sich in Gott zu schicken;

Den fest ergriffnen Stahl, er will ihn zücken,

Und morden allen Trost verwaister Jahre.

 

Doch, wie er seine Stirn nach oben wendet,

Als spräch er: du befahlst es, Hort und Rather!

Rauscht ihm der Flügel eines Himmelsboten.

 

Mit deinem Wollen ist die Tat vollendet.

Allein behielt sich’s vor der ew’ge Vater,

Den Sohn zu opfern für die ewig Todten.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Sinnbilder

1767 -  1845

Ein frühes Veilchen, tief versteckt in Moosen,

Erblickt’ ich; doch als Sommerlüfte gingen,

Wuchs es zum Strauch, den Dornen starr umfingen;

Dann wurden alle diese Dornen Rosen.

 

Aus ihnen hört’ ich Liederstimmen kosen,

Und sah empor sich Nachtigallen schwingen;

Und ich erkannt’ in diesen Wunderdingen

Der Liebe liebliche Metamorphosen.

 

Hab’ ich in stiller Schüchternheit vergöttert,

Litt ich der Zweifel stechendes Gewühle,

Eh sich Erwidrung wollt’ entgegen neigen:

 

So sei mir nie der Rosen Füll’ entblättert,

Es bleib’ ihr Kelch die Wohnung der Gefühle,

Die singend zwischen Erd’ und Himmel steigen.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die furchtbare Nähe

1767 -  1845

Es zogen Heere, donnerten Geschütze

Fernab, die starke Veste zu bestürmen,

Daß sich ihr Strom mit Leichen mußte thürmen;

Die Sommernacht erhellten Kriegesblitze.

 

Da wußt’, im engen Thal, auf schatt’gem Sitze,

Vor allen andern als der Freude Stürmen

Mich und die Liebste Liebe zu beschirmen,

Vereinigt wie die Reb’ und ihre Stütze.

 

Dieß deutet frohe Zukunft unserm Bunde.

Wie sollt’ er nicht, von freundlichen Gestirnen

Selbst im Gewitter angelacht, bestehen?

 

Doch donnert, uns auch, der Verheerung Stunde,

So laß uns, achtlos um der Götter Zürnen,

Im Schooß der Liebe selig untergehen.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Flemming

1767 -  1845

Der Lorbeer, dem du glühend nachgerungen,

O Flemming! welke niemals deinen Haaren;

Der du durch Schiffbruch, Wüstenei’n, Barbaren,

Fast bis zum Bett der Sonne hingedrungen.

 

Du ließest, wo kein deutscher Laut erklungen,

Die Fremdlings-Poesie sich offenbaren.

Der Länder mehr, als Alexanders Schaaren,

Hat dein Gesang verherrlichend bezwungen.

 

Du warst der Orpheus jener Argonauten,

Die Deutschland, Friede wünschend, aus der Wolgen

Auf Caspiens Flut gesendet zu den Persen.

 

Doch als auf dich der Heimat Musen schauten,

Und du zurück kamst, ihnen rasch zu folgen,

Da stach der Tod dich neidisch in die Fersen.

 

 

Auf denselben

 

Dem frühen Schicksal ist sein Raub entronnen,

Denn Flemmings Lieder werden ewig lweben,

Wie kühn sie auch der Kunst Geleis’ entschweben,

Wie leicht ihr goldner Faden hingesponnen.

 

Es drängt sich freudig an das Licht der Sonnen

Das herrliche Gemüth, das innre Streben:

Aufbrausend, wie der edle Saft der Reben,

Ein voller Becher, ein lebend’ger Bronnen.

 

Das Vaterland, die Drangsal wüster Zeiten,

Der Freude Freundschaft, der Geliebten Liebe,

Und fremder Land’ und Völker Herrlichkeiten

 

Besingt er wechselnd mit gleich regem Triebe;

Ob seine Worte Orients Glanz verbreiten:

Ihr Sinn nach deutscher Art gediegen bliebe.

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Zum Andenken

1767 -  1845

Du nahest nur, uns wieder zu verlassen,

Dein rascher Weg hat dich vorbeigetragen!

Von deiner Gegenwart beglückten Tagen

Sah ich zu bald den heitern Strahl erblaßen.

 

Dies kleine Blatt, das du zurückgelassen,

Es soll dir meine Wünsche, meine Klagen,

Dein Bild in mir, dein Angedenken sagen:

Wie könnt’ es so viel große Dinge faßen?

 

Drum dies nur: wird’s in deiner Nähe wohnen,

Wird manchmal seinen Sinn dein Blick entsiegeln,

So neid’ ich ihm sein glückliches Gelingen.

 

O möcht’ ein Täubchen dir es überbringen,

Und nähmest du’s ihm schmeichelnd von den Flügeln,

Und möcht’ ein Kuß die kleine Botin lohnen!

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Leda von Michelangelo

1767 -  1845

Der Vogel Zeus, der Träger mächt’ger Blitze,

Als ihn sein Fürst zum Raub auf Ida sandte,

Hielt er den Knaben, der sich zagend wandte,

Behutsam, daß ihn nicht die Klaue ritze.

 

Doch über Reiz und Unmuth rollt’ in Hitze

Sein Auge hin; auch keinen Kuß entwandte

Der Schnabel, der nur blut’ge Thaten kannte:

So trug er rasch ihn zum olymp’schen Sitze.

 

Du aber, holder Schwan, du weißt die Gaben

Der Lieb’ in hoher Schönheit Schoß zu pflücken,

Du willst nicht im Gesang, im Kusse sterben.

 

Nicht sterben, nein, nur lebend dich begraben

Im Wollusttaumel, und durch dies Entzücken

Unsterblichkeit, wenn sie nicht dein, erwerben.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Salmacis

1767 -  1845

Hermes und Aphroditens spröden Knaben

Hält Salmacis in Liebeswuth umschlungen,

Bis sie den Leib, eh als den Sinn, durchdrungen,

Und in dem Gegenstand den Wunsch begraben.

 

Denn die Natur, die sie beleidigt haben,

Sie, die als Jüngling kühn um Lust gerungen,

Er, mädchenhaft in scheuen Weigerungen,

Vereinigt sie und straft durch ihre Gaben.

 

Von Mann und Weib ein holdes Zwitterwesen,

Mußt du, Hermaphrodit, in Fülle schmachten,

Fühllos für Reize, die dich doppelt zieren.

 

Unglücklich bist du, Salmacis, genesen,

Da du erlangt hast der Verliebten Trachten,

Sich ganz in dem Umarmten zu verlieren.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Gesang und Kuß

1767 -  1845

Wenn fremde Blicke wachsam uns umgeben,

Und unsre tiefe Sehnsucht, ungestillt,

Sich in der Heiterkeit Geberde hüllt,

Und leise kaum den Busen wagt zu heben:

 

Dann ist nur eins, o mein geliebtes Leben!

Was mein Gemüth mit Wonn’ und Ahndung füllt:

Die Melodie, so deinem Mund’ entquillt,

Der seelenvollen Töne sanftes Schweben.

 

Wie Liebesodem fühl’ ich den Gesang

Auf diesen Lippen, die vergebens glühen;

Zum Kusse wird mir jeder zarte Klang.

 

Und nenne dies nicht eitle Phantasieen.

Vernehm’ ich nicht im schweigenden Umfang

Auch deines Herzens schöne Harmonieen?

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Doris

1767 -  1845

Wenn gern die Zither deiner Finger Schlägen

Gehorcht, und Lieder deinem Mund entgleiten,

Scheint Wohllaut so mit Schönheit wettzustreiten,

Daß ich nicht weiß, was mächt’ger kann bewegen.

 

Blind wie das Recht, müßt’ ich die Stimme wägen,

Auf daß die Augen nicht das Ohr mißleiten.

Doch reine Töne locken schon vom weiten

Des Hörers Blicke deinem Blick entgegen.

 

Beglücktes Holz, das dir im Arme weilend,

Von dir berührt, von deinem Reiz beseelet,

Beredt erwiedernd, Laut mit Laut vermählet!

 

Doch glücklicher, wer, dem Gesang voreilend,

Den Hauch all dieser lieblichen Akzente

Auf deinen Rosenlippen suchen könnte!

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die Flucht der Stunden

1767 -  1845

O daß ihr stille stündet, sel’ge Stunden!

Weil ihr verdient zu weilen, müßt ihr eilen,

Was euch vervielfacht, scheint euch zu zertheilen:

Endlos Entzücken macht euch zu Sekunden.

 

„Was klagst du? Wie gefunden, so verschwunden.

„Befiedert trugen wir mit Amors Pfeilen

Dir Lust herbei, und süße Gunst, zu heilen

Die Wunden, die dein Herz kaum überwunden.“

 

So sei denn, Stunden, meiner Wonne Musen!

Lehrt mich, von eurem Flug nicht fortgerissen,

Ruhig die holde Gegenwart zu saugen.

 

„Lausch dem Sekundenschlag am schönsten Busen,

Und zähle jeden Odemzug nach Küssen;

Ein Augenblick blitzt manchen Blick der Augen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Shakespeares Sonette und übrigen Jugendgedichte

1767 -  1845

Wer Freundschaft für den Schönen konnte fühlen,

Die, gleich der Lieb’, in Sehnsucht oft erblaßte;

Wer je den Haß geliebt und Liebe haßte,

Wählt’ Untreu buhlend ihn zu ihren Zielen:

 

Der finde hier sein Bild, und sanft entlaste

Der Worte Scherz den Ernst in den Gefühlen;

Gern schau er dich in zarter Lieder Spielen,

Des Schauspiel groß der Welt Schauspiel umfaßte.

 

Süß Klagen ist der Laut und Odem aller,

Sie weinen Perlen um Adonis Jugend,

Lucretia’s Huld, die Tod und Raub verbittert.

 

Hier bist du nur ein Stab verliebter Waller,

Noch nicht der Speer, des wunderbare Tugend

Verwundend heilt, wenn er die Bühn’ erschüttert.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Das Lieblichste

1767 -  1845

Sanft entschlummert sich’s an moos’gen Klippen

Bei der dunklen Quelle Sprudelklang.

Lieblich labt’s, wann Glut das Mark durchdrang,

Traubensaft in Tropfen einzunippen.

 

Himmlisch dem, der je aus Aganippen

Schöpfte, tönt geweihter Dichtung Sang.

Göttlich ist der Liebe Wonnempfang

Auf des Mädchens unentweihten Lippen.

 

Aber Eines ist mir noch bewußt,

Das der Himmel seinen liebsten Söhnen

Einzig gab: die Wonne milder Thränen;

 

Wann der Geist, von Ahndung und von Lust

Rings umdämmert, auf der Wehmuth Wellen

Wünscht in Melodieen hinzuquellen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die Nebenbuhlerinnen

1767 -  1845

Zwei Schwester, lieb’ ich, schwesterliche Schönen,

Die Einer hohen Mutter Zuge tragen;

Nur andrer Heimat Wiege, wo sie lagen,

Konnt’ in der Sitt’ einander sie entwöhnen.

 

Sie fesseln mich mit ihrer Stimme Tönen,

Die zart und voll den Sinn der Rede sagen.

Wenn eine schweigt, muß ich vermissend klagen,

Und ich sie höre, scheint mir wert zu krönen.

 

Ich streb’, entzündet, ihnen nachzulallen,

Doch wie ein fernes Echo, matter, trüber,

Hauch, ich nur Lispeln in die rauhen Lüfte.

 

Wer kann den ölbekränzten Betis wallen

Durch deutsche Fluren heißen, und, herüber

Die Alpen, Welschlands Pomeranzendüfte?

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Der Reim und die Poesie

1767 -  1845

Ein Redner buhlte mit Sophistenschlingen

Und Wortgespinst, die Poesie zu fangen.

Ihm galten nur die Worte, was sie klangen,

Und eitel ließ er Wortgetändel klingen.

 

Da wandte sie vor seinem schlauen Dringen

Sich zu des Rhythmus männlichem Verlangen;

Mit reiner Inbrunst hielt er sie umfangen,

Und beider Lust ward ein harmonisch Singen.

 

Der Redespieler härmte sich verlassen,

Ward bloße Stimme, doch nicht leer und nichtig:

Es schien, daß Lieb’ in jedem Laut noch keime.

 

Nun wandelt Poesie in Mild’ ihr Hassen,

Und sie vernimmt, ruft sie ihn nun sehnsüchtig,

Echo des Sinnes, zarte süße Reime.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Waldgespräch

1767 -  1845

Hier bin ich einsam, keiner  kört die Klage.  klage!

Niemand vertrau’ ich mein verzagtes Stöhnen.  Tönen.

Soll ich stets ungeliebt der spröden fröhnen?  höhnen.

Wie lang harr’ ich umsonst, daß es mir tage?  Tage.

 

Mich findet Gunst zu leicht auf ihrer Wage.  wage!

Wem liegt wohl dran, mein Leben zu verschönen?  Schönen.

So wird das holde Glück mich endlich krönen?  krönen.

Wer giebt mir frohe Kund’ auf jede Frage?  frage!

 

Was ist dein Tun dort in den Felsenhallen?  hallen.

Und was ist Schuld, daß du nur Laut geblieben?  lieben.

So fühlst du etwas bei Verliebter Schmerzen?  Schmerzen.

 

Glaubst du, dein Spiel könn’ irgendwem gefallen?  allen.

Wem wird es denn zu lieb mit und getrieben?  Trieben.

Wer sehnt sich leeren Wiederhall zu herzen?  Herzen.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die edelste Wirkung

1767 -  1845

Der Pelikan nährt mit der Purpurquelle

Aus seinem Busen die geliebten Jungen;

Der Adler lehrt, der Sonne zugeschwungen,

Dem jungen Adler tragen ihre Helle;

 

Der große Leu, würdig der Oberstelle,

Belebt das Junge, so, von ihm entsprungen,

Wie todt erst daliegt, mit der Kraft der Lungen

Und haucht es an, daß Lebenswärm’ es schwelle.

 

Sie sind ein Vorbild edler Menschengaben:

So opfert gern sich selbst wohlthuende Milde,

Muth kann durch Thaten Jünger sich erziehen.

 

Allein dem Genius nur ward es verliehen,

Daß schon sein reiner Hauch beseelend bilde;

Drum ist er zu dem Herrscherrang erhaben.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Der neue Pygmalion

1767 -  1845                                        An Iffland

 

Sind’s Träume, die dem Sinn vorüber walten,

Und die ein Morgenlüftchen mit sich rafft?

Und seh’ ich wirklich: welch ein Zauber schafft,

Daß Hellas Wunder neu sich mir entfalten!

 

Er ist’s, der Bildner redender Gestalten:

Sein Feuerblick, sein Sang, der Arme Kraft,

Die Denkerstirn, die tiefe Leidenschaft,

Die mächtig ringt, daß Höchste festzuhalten.

 

Was zürnst du noch dem Werke deiner Hand,

Dem Spiegel deiner schöpferischen Seele,

Als ob ihm Leben zur Vollendung fehle?

 

Die hohe Kunst, der sich dein Geist verband,

Schon fühlst du sie von deiner Glut erwarmen;

Sie steigt herab und ruht in deinen Armen.

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An einen Helden

1767 -  1845

Du eilst nicht, leichte Lorbeer’n nur zu greifen,

Um müßig dann des Lobes Trank zu schlürfen.

Wenn siebenfach Trophäen dir sich häufen,

Wirst du der That, wie dein die Welt bedürfen.

 

So viel zu können, was man kann, zu dürfen,

muß zwar mit Gottgefühl die Brust ergreifen,

Doch, fliegend von Entwürfen zu Entwürfen,

Läßt deiner Weisheit Frucht dein Muth nicht reifen.

 

Kaum hast du dich von deinem Werk geschieden,

So ist’s dem Chaos wieder hingegeben;

Zum Grabe wird die Wiege neuer Staaten.

 

O setze Herkulessäulen deinen Thaten

Willst du von Nilus Haupt den Schleier heben,

So stürzen hinter dir die Pyramiden.

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die einzige Sicherheit

1767 -  1845

Vom Tode rettet nur den Tod Verachten.

Dem, der ihn fürchtet, trinkt er zu beim Mahle,

Der grause Gast, aus blinkendem Pokale,

Daß rings der Freude Kerzen sich umnachten.

 

Doch wenn der Freude Kerzen sich umnachten.

Doch wenn ihn Muth und Kraft zu reizen trachten,

So weicht er aus, und trifft mit scheuem Stahle;

Ihn höhnt der Krieg, ob er Tribut ihm zahle,

Und über ihn siegprangen blut’ge Schlachten.

 

Drum habet Dank, ihr großen Todverächter!

Euch, die ihr einsam euer Blut gespendet

Dem Zeus Befreier, soll der Einz’le danken;

 

Die Nationen, Römer, euch, und Franken!

Im Kampf mit Schrecken, die der Orkus sendet,

Seid ihr die Phalanx sterblicher Geschlechter.

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Zuversicht

1767 -  1845

Wie Heut sich end’gen wird, was Morgen bringen,

Ich weiß es nicht; doch streu ich gerne Saaten.

Sie laße Luft und Boden dann gerathen,

Durch meine Trägheit soll es nicht mißlingen.

 

Kenn’ ich nur mich, was frag’ ich nach den Dingen?

In meiner Brust versteh’ ich Andrer Thaten.

Die Weisheit muß mir Maß und Stille rathen,

Auf daß nicht blindlings meine Kräfte ringen.

 

Den ew’gen Schlangenkreis, der uns umfahet.

Zu überschaun braucht nur des Schicksals Wächter;

Wohltätig schwindet Eins, wenn Andres nahet.

 

Mag doch die Zukunft drohn aus düstern Fernen:

Sucht euren Weg, verbrüderte Geschlechter!

Der Himmel leuchtet ja mit seinen Sternen.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Diva Fides

1767 -  1845

O heil’ge Treue! sittsame Vestale,

Die auf der Seel’ Altar die Flamme hütet!

Astraea, die dem Neid des Glücks gebietet,

Mit Lieb’ und Gegenlieb’ in gleicher Schale!

 

Du Flora, die im thränbetauten Thale

Des Lebens auch den Winter schön beblütet!

Doch, wenn der Tod mit harter Trennung wütet,

Du Parce mit verhängnisvollem Stahle!

 

Sag’ wo sind deiner Wunder hingeschwunden?

Sind dir zu dienen würdig nur Heroen,

Und kann die schlaffe Welt nicht mehr gesunden?

 

Du wirst vermißt an Mann, Weib, Niedern, Hohen,

Und mancher höhnt, nie seist du wahr erfunden

Weil du aus seiner falschen Brust entflohen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Abhängigkeit und Willkür

1767 -  1845

Von Sternen hat die Vorwelt uns gelehret,

Die Tugend, Frevel, Ruhm, Schmach, Glück, Mißlingen,

Aus den geheimnisvollen Kreisen bringen,

Und deren Macht kein Wille sich erwehret;

 

Von Zeichen, die der Kund’ge sieht und höret,

Und den Orakeln leichter Vogelschwingen;

Auch von Sirenen, deren zaubernd Singen

Unwiderstehlich in den Tod bethöret.

 

Der Jugend ziemt des Sinnbilds holde Leitung,

Doch heb’, erwachen nun, der Mensch die Stirne,

Hör auf, was in ihm, außer sich zu wähnen.

 

Muth, Freiheit, Kraft, sind seines Heils Gestirne,

Der Weisheit Blicke seiner Zukunft Deutung,

Wahn, Trägheit, Wollust, seiner Brust Sirenen.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Das Zeitalter

1767 -  1845

Grau, doch nicht weis’ ist das Jahrhundert worden:

Ihm ist umsonst die Weltgeschicht’ erschollen.

Noch thürmen sich im Strom des Eises Schollen,

Und heft’ger brausen Aeols wilde Horden.

 

Wird blindlings hin und her stets Mavors worden?

Wird stets das Glück sein Rad zertrümmernd rollen?

Gilt freches Wollen bloß, nie ernstes Sollen?

Und einigt Völker nur der Selbstsucht Orden?

 

Steigt niemals, die, wie jenes Greisen Töchter,

Verwegenheit und wilder Wahn zerfleischet,

Verjüngt die Menschheit aus den Zauberkesseln?

 

So mag die Hoffnung, welche die Geschlechter

Mit Weissagungen goldner Zukunft täuschet,

Zu ew’ger Flucht Pandora’s Urn’ entfesseln.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Ludwig Tieck

1767 -  1845

Einst war die heil’ge Schrift sammt den Legenden

Der Thespis-Karrn der rohen neuern Bühnen;

Dem Volk und Spielern, gleich an Einfalt, schienen

Die Possen nicht das Heiligste zu schänden.

 

Doch als die Kunst entwuchs den frommen Händen,

Da wollt’ im Schauspiel niemand Gott mehr dienen,

Und stolze Geister durften sich erkühnen

Spott über jene Wunder auszusenden.

 

Du, in der Dichterbildung reicher Blüthe,

Bringst uns verwandelt wieder jene Zeiten,

Wo Adam auf der Bühn’ erschien und Eva.

 

Ja, Dank sei deinem kindlichen Gemüthe,

Heiligst die Kunst, verschönerst Heiligkeiten,

Und machst zum Lied das Leid der Genoveva.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Die größere Gefahr

1767 -  1845

Hochbrausend rang mit Peleus Sohn Skamander,

Der Held muß fliehn die Schlingen seiner Fluthen;

Doch zähmen bald den Strom des Feuers Gluten,

Des eignen Betts unwill’gen Salamander.

 

Cydnus lud in die friedlichen Mäander,

Auf deren Spiegel Mittagsschatten ruhten;

Doch mitten in dem süßen Bad umfluten

Des Todes Schau’r den großen Alexander.

 

Ein glühend Herz zagt nicht bei’m wilden Rauschen

Feindseligen Geschicks, und wird sich halten,

Schlüg’ über’m Haupt die Well’ ihm auch zusammen.

 

Doch in der Wollust kühlem Schoße lauschen

Geheimes Grausen, bängliches Erkalten,

Und löschen der Begeistrung muth’ge Flammen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Buri

1767 -  1845

über sein Bildnis der Gräfin Tolstoy

geb. Baratinsky

 

So schlingt die Rechte in des Hauptes Schleier

Der Treue Göttin und der keuschen Sitte;

So, sinnend und versenkt in fromme Bitte,

Steht die Vestale vor dem ew’gen Feuer.

 

Und die bewahrt das Heiligtum nicht treuer,

Als du der Schönheit folgst mit leisem Tritte

Bis in der Göttlichkeit erhabne Mitte,

Und machst die Kunst zu reiner Andacht Feier.

 

Doch mildert ihren Ernst ein lieblich Scherzen:

Du wölbst in goldner Luft aus goldnen Blättern

Der Holden eine Laub’ und süße Wildnis.

 

Elysium bringt mit sich herein zum Herzen,

Von Myrth’ umgrünt, umspielt von Liebesgöttern,

Das hohe zarte heiligschöne Bildnis.

 

 

*Dieses Bild war auf Goldgrund gemalt, und auf dem

Goldgrunde rings umher mit einer Myrthenlaube verziert,

worin spielende Liebesgotter saßen.

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An den Dichter des Lacrimas

1767 -  1845

Du kennst wohl jene Frucht der sonn’gen Zone,

Die aus dem goldnen Schoße grüne Sprossen

Empor läßt, wie zum Palmenwipfel, schossen,

Daß unter schatt’gem Baldachin sie throne.

 

Doch schafft, getrennt von ihrer Frucht, die Krone,

Sich, wurzelnd, neu den würzigen Genossen,

Bewährend, daß, gleich durch sie hin ergossen,

Die süße Kraft im Kern, im Schmucke wohne.

 

So, Freund, will deine Dichtung mir gemuthen:

In jugendlicher Frühlingspracht verborgen

Hegt sie des fernen Himmelsstrichs Arome.

 

Hier duft’ges Abendland, dort glühnder Morgen;

Dazwischen hauchen Lüft’ und Meere fluten

Hin und zurück mit linder Sehnsucht Strome.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An den Freiherrn de la Motte Fouque

1767 -  1845                                        Am 9. Jannuar 1803

 

Wohl tatst du, Freund, entfremdet äußerm Glanze,

Vom Staat verlieh’ne Waffen abzulegen.

Doch, angestammt, bleibt treu dir Sporn und Degen,

Du schwingst im Lied nun alter Ritter Lanze.

 

Und lieblich winkt die liebevolle Pflanze

Der Myrthe dir, im Schatten dich zu hegen;

Und wie du sorgsam wirst die zarte pflegen,

Sproßt sie, o Wunder! dir zum Lorbeerkranze.

 

Wie gerne krönt’ ich, segnend bei dem Feste,

Die holde Braut, die dir dein Herz gefunden,

Mit jedes Lobes Strahlen-Diademe!

 

Von fern empfange denn, als gute Gäste,

Auf diesem Blatt zum Bild’ in eins gewunden,

Der sel’gen Lieb’ und Poesie Empleme.

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Der Dom zu Mailand

1767 -  1845

Gebirge du von Pfeilern, Bogen, Mauern,

Mit deutscher Kunst des welschen Himmels Prangen!

An deinem hochgethürmten Umriß hangen

Die Blicke staunend halb und halb mit Trauern.

 

Ein steinern Heer von Vätern und Erbauern

Der Kirche hält dich, selbst ihr Bild, umfangen,

Und lehrt, wie wandelbar die Zeit empfangen

Wahrheit, so alle Zeit soll überdauern.

 

Der Chor vertieft sich ernst in farb’gem Lichte,

Doch Eitelkeit der klügelnden Geschlechter

Hat das Portal der alten Form entwendet.

 

Nun laßen sie, des Heiligen Verächter,

In nacktem Wust den Tempel unvollendet,

Und so verstummt die marmorne Geschichte.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Auf die Taufe eines Negers

1767 -  1845

Den schwarzen Sohn der sonnentflammten Zone

Entführt aus seinem Psalmen Palmen-Vaterlande

Europa’s Geiz, daß er an fernem Strande

In hartem Sklavendienst verschmachtend frohne.

 

Die Freiheit wird dem Armen erst zum Lohne.

Für seine Treu’ entfallen ihm die Bande;

Er lernt, beglückt in seinem niedern Stande,

Daß Mild und Recht im Land der Weißen wohne.

 

Bald winken ihm zwei segnende Gestirne:

seht! Huld und Adel mit vereintem Triebe

Geleiten ihn zum heil’gen Glaubensbade.

 

Ein Lichtstrahl fällt auf seine dunkle Stirne,

Ihm offenbart der Christen fromme Liebe

Das göttliche Geheimnis ew’ger Gnade.

 

 

* Gedichtet im Schloß Chaumont an der Loire

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An die Königin

1767 -  1845                                        Am 10. März 1803

 

Die Blumen sind die Kinder in den Reichen

Der lieblichen Natur: sie dürfen kommen,

Am hohen Thron selbst freundlich aufgenommen;

Drum wag’ ich heut, Dir diese darzureichen.

 

Lies Huldigung in diesen zarten Zeichen:

Wie Flüstern der Gefühle sei’s vernommen,

Wie sie für Dich in Farb’ und Duft entglommen,

Wenn sie vor Deiner Schönheit nicht erbleichen.

 

Der Tag muß stets des Frühlings Zierden bringen,

Der Dich zuerst geführt in’s holde Leben,

Die Königin der Anmuth und der Sitten.

 

O möchte, wenn Dich alle Künst’ umringen,

In der, die mich Thalia lehrt, mein Streben

Oft Blumen Dir erziehn in Winters Mitten!

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Windischmann

1767 -  1845                                        bei Vermählung seiner Tochter

1821

 

Sieh, biedrer Freund, mich freudig hier erscheinen.

Die holde Braut in ihrer Myrthenkrone

Wird dem bewährten edeln Mann zum Lohne;

Zwei treue Herzen wollen sich vereinen.

 

Mit Dir sei Gottes Segen, und den Deinen!

Des Vaters Geist, der Mutter Tugend wohne

in jeder blühn’der Tochter, jedem Sohne!

Du sehest frisch gedeihn die zarten Kleinen!

 

Dein redlich Thun zu schaun, ist seelenlabend:

Ich traf Dich spät auf meinem Lebenswege,

Die späte Freundschaft ward erprobt gefunden.

 

Mir neigte längst die Sonne sich zum Abend;

Doch wenn ich nun mich müde niederlege,

Dann denke noch so mancher trauten Stunden.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Abschied

1767 -  1845

Zu spät! zu spät! und wollte sie auch gerne.

Die Jugend, die mein Haupt gekrönet,

Die Poesie, die meine Brust durchtönet,

Sie sind entfloh’n. Es blassen meine Sterne.

 

Ach! warum blieb ich einsam nicht und ferne?

Längst hatt’ ich süßem Trug nicht mehr gefröhnet,

Doch ward des Wahnes Schuld noch nicht versöhnet,

Und Zeit ist’s, daß ich in mir sterben lerne.

 

Ein Weib begegnet mir voll Huld und Milde,

Doch ist ein heil’ger Engel ihr Gefährte;

Ich darf nicht bitten und sie darf nicht geben.

 

Ich schaue sehnend nach dem zarten Bilde,

Da winkt der Cherub mit dem Flammenschwerte:

„Nimm Abschied von der Liebe, von dem Leben!“

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Kynosarges

1767 -  1845

Es hat mich wollen, werther Freund, bedunken,

Daß du bisher die Tinte müssen sparen,

Daß auch die Federn nicht geschnitten waren,

Weshalb dir fast die Autorschaft entsunken.

 

Doch da dein Ruf so herrlich schon gestunken,

Mußt du ihn auch hinfüro offenbaren.

Auf, kratze dich in deinen krausen Haaren,

Und wag es, in dies große Faß zu tunken!

 

Bald wirst du sehn Komödien draus erwachsen,

Burlesken und Roman’ ans Licht gezogen,

Und Theorie’n und witzige Kritiken.

 

Mit dieser Schwanenfeder aus den Axen

Hebst du die Litt’ratur; der Foliobogen

Wird bald zum Schlachtfeld, wo die Merkel quieken

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Ehrenpforte

1767 -  1845                                        für den Theaterpräsidenten von Kotzebue

bei seiner gehofften Rückkehr in’s Vaterland.

 

 

I.

 

Von liederlichen Thränen giebts nun Ferien,

Und niemand schwängert unsrer Bühne Musen;

Das Nationaltheater der Tungusen

Geht Kotzebue zu bilden nach Siberien.

 

Apostel du, von England bis Hesperien,

Naiver Menschheit in gefallnen Busen!

Bald, als Parterr-versteinernde Medusen,

Bringst du uns kamtschadalische Materien.

 

Zweiter Benjowsky! Bayard ohne Tadel!

Jenseits des Boreas nun kennen lerne

Das Land, wovon du prophezeit als Seher.

 

Rußlands Monarch ertheilt dir höhern Adel:

Zum Esel machten dich Geburt und Sterne,

Doch die Kibitke zum Hyperboreer.

 

 

II.

 

AUF; Britten, des brutalen Brutus Brut!

Errettet euren Dichter Kotzebue.

Euch ist er er eigen, euch gehört er zu,

Er wärmt noch euer bierverdicktes Blut.

 

Mit mächt’gen Flotten theilt die Meeresflut,

Habt, eh ihn Paul zurückgiebt, keine Ruh;

Sprecht: Ein Britannien lebt, ein Zar wie du,

Ein Kotzebue, sie alle groß und gut.

 

Stellt ihn der edle Zar auf freien Fuß:

Rule, Kotzebue, dann, und Britannia rule!

Erfreut euch eures wohlerrungnen Guts;

 

Und mengt Moral in seiner Stücke Muß,

Und fischt aus ihrem flachen breiten Pfuhl

Beauties of Kotzebue, fit for the brutes!

 

 

IV.

 

Castra doloris waren die Theater,

Da Kotzebue für alle schien verloren.

Allein er ist uns wieder neu geboren,

Und im Gefolge seines Ruhmes naht er.

 

Berlins Thiergarten wie der Wiener Prater,

Und Weimars Park verkunden’s Aller Ohren:

Zum großen Fest ist dieser Tag erkoren

Für unsrer Bühne Vater und Berather.

 

Trompetet, paukt denn, klatscht und treibt Geschnatter,

Der Lampenputzer komm’ im neuen Rocke,

Und wie ein jeder kann, so feir’ ihn jeder.

 

Du, kratz’ das Herz mit Heldenfratzen, Kratter!

Du, siede neue Zauberinnen, Zschokke!

Du, laß die Bestien tanzen, Schikaneder!

 

 

V.

 

Vom Idealen schwatzt man viel und Edeln,

Du aber weißt bei menschlichen Gebrechen,

Vergiften, Lügen, Rauben, Jungfern-schwächen,

Das Edle noch durch’s kleinste Loch zu fädeln.

 

Was sag ich erst vom edlen Geldvertrödeln?

Vom edlen Fluchen? Tabakspfeifen-brechen?

Ja, deine Feinde selber müssen sprechen,

Das edel auch bei dir die Hunde wedeln.

 

Drum öffnen dir sich gern die Thränenschleusen.

Wer nicht an Menschheit glaubt, geh in’s Theater,

Er seh dein Publicum und dich, und lern’ es.

 

Du machst zerbrochne Puppen uns zu Waisen,

Saugst Rührung über Mutter, Kind und Vater

Am Nasenzipfel eines Holofernes.

 

 

VI.

 

Shakespeare ward nicht geängstet von der Regel,

Denn Recensenten gab’s noch nicht zum Glücke,

Meinst du; und käm’s nur bis dahin zurücke,

Gingst du so kühn wie er wohl unter Segel.

 

Dich neckt mit Tücken Tieck, mit Schlägen Schlegel,

Bernhardi harrt auf jedes deiner Stücke,

Daß er in kleine Bißchen sie zerstücke:

Allen was kümmern dich dergleichen Flegel?

 

Du scheust nicht mehr die Literatur-Zeitung,

Sonst deinen Todfeind; dich will Schütz beschützen,

Den Witz, den er verlor, find’t in dir Huber.

 

Drum sei nun Shakespeare, dreist auf solche Stützen,

Und ruf’ mit genial’scher Zubereitung

Der Helden Geist aus deinem Tränenzuber.

 

 

VII.

 

Seit langer Zeit Verfertiger von Dramen

Wollt’ er nun endlich ein Poet auch werden.

Das Versemachen macht zwar viel Beschwerden,

Allein es führt auch einen schönen Namen.

 

Den Gustav, Bayard, und antike Damen

Besteigt er drum gleich raschen Flügelpferden,

Und fliegt, zum Himmel nicht, herab zur Erden.

Da heißt es recht: es springen selbst die Lahmen.

 

Den Visitator Momus an der Grenze

Des Pindus wollt’ Apoll zur Rede stellen,

Daß er die Contrebande lassen ziehen.

 

Doch Momus lacht: Der stiehlt dir keine Kränze;

Er holt aus deinem Hain, an deinen Quellen,

Statt Poesie nur Kotzebuesieen.

 

 

VIII.

 

Unwissend seist du, spricht der Terrorismus

Der Kritiker, und dummdreist, doch zu wagen,

Mit breitem Spott der Menge vorzutragen

Browns große Lehr’, und Kants Idealismus.

 

Doch du verstehst dich auf den Organismus

Trotz jedem Physiker in unsern Tagen,

Und alle deine Stücke, kann man sagen,

Sind nur Versuche mit dem Galvanismus.

 

Den Silberthaler gangbarn Edelmuthes,

Sammt leichten Platten deines zinknen Witzes,

Weißt du armierten Nerven aufzudrucken.

 

Und o, wie wunderbare Wirkung thut es!

Du zwingst mit der Empfindung eines Blitzes

Das Publicum, den großen Frosch, zu zucken.

 

 

IX.

 

Der Muse Spiel soll nicht die Pflichten lehren,

Der Tugend Ernst verschmäht entlehnte Flügel.

Ist nur ein reiner Sinn des Lebens Spiegel,

So wird von selbst die Dichtung Gutes nähren.

 

Du aber strebst die Meinung zu verkehren,

Du brichst mit schlaffem schmeichelndem Geklügel

Durch strenger Zucht und Sitt’ und Wahrheit Riegel,

Und Weib und Mädchen kuppelst du mit Ehren.

 

Dann kommst du mit der Zutat milder Taten,

Mit Lebensretterei und edlem Triebe;

So glaubst du, kann der Teufel dich nicht holen.

 

Nein, Schuster Kotzebue! wie falsch geraten!

Wie woll’n die Schuhe nicht aus Christenliebe,

Nur sei dazu das Leder nicht gestohlen.

 

 

X.

 

In allen Lagen bleibt der große Dichter

Stets unerschütterlich auf seinem Posten:

Man glaubt ihn fern im dunkelsten Nordosten,

Er stehn im Glanze der Theaterlichter.

 

Es drängen sich neugierige Gesichter;

Wie sollte heut die alte Liebe rosten?

Er giebt ja auf des eignem Schicksals Kosten

Ein Schauspiel vom beliebtesten Gelichter.

 

Zu Anfang die sentimentale Reise;

Hierauf nothlose Röthen zum Erbarmen;

Ein milder Fürst, und Menschenlieb’ am Hofe.

 

Dann Rückkehr, Jubel, Wiedersehn, Umarmen.

Zusammenhang war niemals seine Weise:

Unmotiviert ist auch die Katastrophe.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Inpromptü

1767 -  1845                                        Bei einem gesellschaftlichen Fragespiel.

 

An Madame S. M.

 

Endlich wird auch mir das Glück zu Theil,

Holde Dichterin, dich zu befragen,

Ach, mein Herz hat dir so viel zu sagen,

Und es ist nicht für die Langeweil.

 

Ängstlich sah ich deine große Eil,

Dich nach hause von uns wegzutragen:

Ich verzehrte mich in stillen Klagen

Und verzagte fast an meinem Heil.

 

Höre denn! doch thu zuvor den Schwur

Bei den Grazien und Musen zwölfen,

Bei der Tugend, Schönheit und Natur:

 

So Apollo stets dir möge helfen,

Woll’st du Wahrheit mir verkünden nur. –

Liebst du mehr die Sylphen oder Elfen?

 

 

August Wilhelm Schlegel        Auf die Vergänglichkeit alles Irdischen

1767 -  1845

Du alte stolze Rom, die, was der Erdkreis faßt,

Zum Prunk herbeigeschleppt vom Rheine, wie vom Nine;

Die du des Herrschers kraft, des Herrschers Hochgefühle

Auf deiner Werke Stirn so hell gestempelt hast.

 

Trophä’n, die ihr dem Blick des Tages wißen laßt,

Daß Menschenwitz und Fleiß mit Elementen spiele!

Du Circus, wo vordem Barbaren, bei’m Gewühle

Des rohen Volks, ihr Blut zum Scherze hingepraßt!

 

Ihr alle habt umsonst Unsterblichkeit gefodert;

Ihr, die ihr schon vorlängst, wie wie eure Schöpfer modert

Ihr, die der Säclen Grimm in’s Nichts darnieder schmiß!

 

Weil denn der Zeiten Zahn Granit und Stahl zerwühlet,

Was klag’ ich, daß nun auch mein grauer Flaus ihn fühlet,

Den ich zwei Jahre trug, der heut am Ärmel riß?